Auf die Plätze, fertig, Chip - Wettlauf um Halbleiter

23.02.2023

Der weltweite Chipmangel hat auch den Elektronikspezialisten Becom Group getroffen. Mit strategischen Partnerschaften und Einkaufsgemeinschaften hat der Geschäftspartner von PALFINGER die Turbulenzen gut gemeistert. Jetzt, so Geschäftsführer Johann Bock, gilt es, sich selbst und Europa auf die Zukunft vorzubereiten.

Auf einmal war alles anders, erinnert sich Johann Bock. „Chips hat es früher zuhauf gegeben. Plötzlich waren sie nicht mehr verfügbar“, blickt der Geschäftsführer der österreichischen Becom Group auf die letzten Jahre zurück. Durch die Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie wurden erstmals Schwachstellen in der Produktion und im Vertrieb sichtbar, so Bock, dessen Unternehmen Elektronikteile für die Industrie anfertigt, auch für PALFINGER. „Auf einmal war es eine Herausforderung Halbleiter zu bekommen. Für uns und ebenso für unsere Partner und Kunden. In der Pandemie wurde zum ersten Mal die Produktion runtergefahren. Dann aber kam mit 5G auch eine neue Technologie, kamen neue Produkte in der Automobilindustrie sowie neue Batterietechnologien auf den Markt, die die Nachfrage entsprechend angekurbelt haben“, so Bock.

Mit dem rasanten Aufschwung 2021 intensivierte sich die Konkurrenz am Weltmarkt. Was eigentlich eine gute Nachricht ist, wurde zur Herausforderung, meint Bock. Denn die Produzenten begannen unter ihren Abnehmern nach den lukrativsten Ausschau zu halten und ließen Unternehmen wie Becom wissen, dass die Lieferzeiten sich verlängern werden. „Wir haben schon früh unsere Kunden gebeten, uns mit einer Vorschau ihres Bedarfs zu versorgen. Am besten über einen Zeitraum von mindestens 15 Monaten, besser noch über 24 Monate. Damit wir unsere Bestellungen gut im Voraus planen und platzieren können.“ Ein Ansinnen, dem der eine oder andere Kunde nicht nachkommen konnte oder nur bis zu maximal sechs Monaten.

Strategische Partnerschaften

In der Zeit des Mangels intensivierte Becom die strategische Zusammenarbeit mit seinen OEMs. „Gemeinsam mit ihnen haben wir gegenüber den Produzenten mehr Gewicht auf die Waage gebracht. Und konnten dann mit ihnen auch auf wichtige Einsatzbereiche wie Versorgungssysteme für Kraftwerke oder Medizintechnik verweisen, damit war es eher möglich, in der Versorgung etwas zu bewegen“, erzählt Bock.

Parallel dazu setzte Becom auf die Zusammenarbeit mit Brokern auf dem freien Markt (ein Vorgehen, das auch PALFINGER als Teil seiner Einkaufsstrategie wählt) und auf Alternativvorschläge gegenüber den Kunden. „Wir haben sehr genau überlegt und aufgrund unserer Erfahrung adäquate Bauteile empfehlen können, um den Mangel ohne Qualitätsverlust am Produkt zu umgehen“, so Bock. Manchmal gilt es, flexibel zu sein.

Inzwischen beobachtet Johann Bock eine gewisse Entspannung. Um den Jahreswechsel 2023/24 sollten sich Versorgungslage und Markt wieder eingependelt haben. „Was wir daraus lernen müssen, ist, langfristig zu denken und zu planen“, zieht er einen ersten Schluss. Es gilt also sich vorzubereiten, um künftigen Engpässen besser begegnen zu können.

Lehren aus dem Mangel

Ist das ein Plädoyer für Lagerhaltung ausgerechnet bei Chips? Diese Idee ist nicht so abwegig, meint Bock: „Wir sind wie unsere Kunden in eher konservativen Bereichen tätig. Wir sprechen von Produkten, die eine lange Lebensdauer haben und schon aus diesem Grund nicht unbedingt auf die letzte und neueste Halbleitergeneration fixiert sind. Insofern wäre ein gewisses Maß an Lagerhaltung durchaus vorstellbar.“ Als eine Maßnahme unter mehreren. Die wichtigste ist aber über die Produktionsstandorte nachzudenken, wirft Bock ein: „Wir wissen seit 2020, 2021, dass wir hier in Europa über zu wenig Produktionskapazitäten verfügen. Das muss sich dringend ändern. Und vor allem rasch.“

Der Geschäftsführer der Becom Group steht mit dieser Erkenntnis und Forderung nicht allein. Tatsächlich ist innerhalb der Europäischen Union etwas in Bewegung gekommen. Intel plant im deutschen Magdeburg eine neue Halbleiterproduktion einzurichten, im Saarland will Wolfspeed Siliziumkarbid Chips produzieren. Und die EU stellt 32 Milliarden Euro als Subventionsmittel für die Förderung dieser Industrie zur Verfügung.

Investitionen in die Zukunft

Für europäische Verhältnisse ist das viel Geld. Johann Bock aber kennt die Summen, die andernorts bereitgestellt werden: „Nehmen wir Amerika, die nehmen allein dafür 122 Milliarden US-Dollar in die Hand, Taiwan – wo heute schon die meisten Chips weltweit produziert werden – veranschlagt Mittel in der Höhe von 102 Milliarden US-Dollar. Da fallen Japan mit 18, Südkorea mit 13 und China mit 3,2 Milliarden schon nicht mehr ins Gewicht. Aber wir müssen uns die amerikanische Dimension vor Augen halten. Die USA haben die Bedeutung dieser Technologie erkannt und setzen alles daran, ihren Führungsanspruch in der Produktion wiederzuerlangen.“

Die Regierung in Washington investiert nicht nur in Halbleitertechnologie. Mit dem „Inflation Reduction Act“ legt die Biden-Administration ein 370 Milliarden US-Dollar schweres Förderprogramm auch für klimafreundliche Technologien auf. China investiert seit Jahren konsequent in Zukunftsbranchen, die ohne Chips undenkbar wären – etwa Künstliche Intelligenz, Robotik und Elektromobilität. Gemeinhin nennt man das Industriepolitik. Ein Begriff, der, wie die Geopolitik, in Europa lange Zeit aus der Mode gekommen war. Der jetzt aber mit Vehemenz zurückkehrt.

Europas Stärken nutzen

„Wir müssen mehr investieren“ befindet Bock. „Wir müssen mehr Geld in die Hand nehmen, wir müssen unsere europäischen Stärken zu unserem Vorteil ausspielen.“ Und Stärken hält Europa einige als Trumpf in der Hand. Da ist die Kompetenz im Maschinenbau, auf die Bock verweist. Der weltweit größte Hersteller der leistungsfähigsten Produktionsanlagen für Chips der letzten Generation ist ein niederländisches Unternehmen. Dazu kommt die Kompetenz in Forschung und Entwicklung. „Die Grundlagenforschung zu Chips findet maßgeblich an europäischen Universitäten statt. Diese Stärken müssen wir nutzen. Sonst stehen wir hier vor demselben Problem wie mit der Pharmaindustrie. Wir müssen Forschung in Produktion umwandeln. Und: Wir müssen das viel schneller schaffen. Darin müssen wir investieren.“

 

Der Engpass bei Halbleitern, meint Johann Bock, muss für den Industriestandort Europa ein Weckruf sein. Dann hat er langfristig etwas Positives bewirkt.