„Das Bewusstsein, dass etwas passieren kann“

23.02.2023

Auf die Pandemie folgt die Supply Chain Krise, auf den Angriff Russlands auf die Ukraine folgt die Energiekrise. Und die Herausforderungen werden nicht weniger. Im Gegenteil. General Othmar Commenda über Risiken, und wie Gesellschaft, Staat und Wirtschaft mit ihnen umgehen können.

Seit Othmar Commenda, von 2013 bis 2018 Chef des Generalstabs des Österreichischen Bundesheeres, seinen Abschied vom aktiven Dienst genommen hat, vermeidet er öffentliche Stellungnahmen. Wer nicht mehr im Spiel ist, braucht das Spiel nicht von der Seitenlinie aus zu kommentieren, meint er. Für PALFINGER macht der General eine Ausnahme und teilt seine Überlegungen zu den aktuellen Risikofaktoren und dazu, was es braucht, um erfolgreich mit ihnen umzugehen. Am Anfang steht eine Bestandsaufnahme der aktuellen Risikolage: „Für Europa ist die Migration eine der größten Herausforderungen der Zukunft. Wir können seit vielen Jahren die Bevölkerungsentwicklung weltweit beobachten und müssen erkennen, dass in den immer ärmer werdenden Ländern die Bevölkerung zunimmt, während die Lebensgrundlagen fehlen. Allein in Afrika setzen sich Millionen Menschen aus vielen Nöten heraus – aus wirtschaftlichen, klimatischen oder politischen – in Bewegung. Darauf sind wir nicht vorbereitet. Wir haben aus der Flüchtlingskrise 2015 nichts gelernt.  Das ist eine Herausforderung. Die andere ist, dass wir es in den letzten Jahren nicht geschafft haben, unsere Abhängigkeit von Energie und Ressourcen, über die Europa nicht verfügt, zu reduzieren.

 

Das ist durch den Ukrainekrieg in aller Konsequenz unübersehbar geworden – ohne ihn hätte es auch weiterhin keinen einzigen Schritt gegeben, diese Abhängigkeiten zu reduzieren. Und der Cyberkrieg, der täglich stattfindet und Unternehmen und Volkswirtschaften Milliardenverluste beschert, ist eine weitere, massive Herausforderung. Die aktuelle Risikolage ist sehr vielfältig.“

Leben am Limit

Als problematisch erkennt der Militär, dass das Bewusstsein für die sehr unterschiedlichen Bedrohungen kaum gegeben ist. Dabei, davon ist er überzeugt, lässt sich mit ihnen umgehen – wenn man bereit ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sich auf sie vorzubereiten: „Nehmen wir diesen inzwischen schon etwas abgeklatschten Begriff des Blackouts. Ich habe das Thema schon ein bisschen satt, aber im Endeffekt ist das eine Bedrohung, die minütlich eintreten kann. Vor ein paar Jahren hat das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL berichtet, wie Europa beinahe in einen Megablackout getaumelt wäre, hätten clevere, tüchtige Techniker und Ingenieure das nicht verhindert. Europa hat Glück gehabt. Stellen wir uns einen Blackout vor, dann gibt es Möglichkeiten, die Auswirkungen abzufedern. Indem man sich vorbereitet und einsieht: Du kannst nicht immer am Limit leben. Du brauchst Reserven. Du kannst zum Beispiel das Gesundheitssystem nicht auf die Norm des täglichen Bedarfs herunterfahren. Du musst in der Lage sein, Spitzen, und zwar außerordentliche Spitzen, abzudecken.“

Ein Konzept für Krisen

Was fehlt, konstatiert er, ist die Bereitschaft, sich mit diesen Themen in aller Konsequenz auseinanderzusetzen. Das war einmal anders, und Commenda sieht keinen Grund, warum man nicht auf ein erfolgreiches Konzept aus den 70er Jahren zurückgreifen und es für die heutigen Herausforderungen adaptiert einsetzen sollte: „Es gab in Österreich etwas, das war genial. Das war die umfassende Landesverteidigung. Der Begriff ist vielleicht heute nicht mehr attraktiv. Aber da gab es vier Säulen, als erste die geistige Landesverteidigung. Das ist das Bewusstsein, dass etwas passieren kann. Das braucht kein Krieg zu sein, das können auch andere Krisen sein. Die zweite ist die wirtschaftliche Landesverteidigung, die dafür gesorgt hat, dass überlebenswichtige Produkte und Infrastruktur vorhanden und gesichert sind. Die dritte war die militärische Landesverteidigung. Und die vierte war die zivile Landesverteidigung, der Zivilschutz, also der Schutz der Bevölkerung, der auch wieder nichts mit einer kriegerischen Ordnung zu tun hat. Im Endeffekt sind es diese Säulen, die uns heute fehlen.“

 

Rechtzeitig Reserven schaffen

Es gilt, meint er, in allen Belangen wieder langfristiger zu denken und zu planen: „Die westliche Welt, insbesondere Europa, ist auf reine Wirtschaftlichkeit ausgerichtet. Unterm Strich muss alles im schwarzen Bereich sein, es muss alles möglichst günstig sein, es muss alles möglichst schnell da sein. Zu lange hat sich niemand darüber Gedanken gemacht, was ist, wenn die Supply Chain unterbrochen wird. Es gibt keine Lagerhaltung mehr. In anderen Bereichen fehlt die Produktion, zum Beispiel von Halbleitern oder Medikamenten. Es gibt neben der kritischen Infrastruktur auch kritische Produkte. Die kennt man, die muss man wieder beginnen, herzustellen. Man muss dafür sorgen, dass wir hier wieder im grünen Bereich sind und nicht permanent am Limit. Das heißt, es geht darum, Reserven zu schaffen, die in krisenhaften Situationen oder Krisen über einen bestimmten Zeitraum hinweghelfen. Die Schlussfolgerung ist nicht sehr attraktiv: Man muss auch unwirtschaftlich auf Sicherheit bedacht sein.“
 

Eine Gesamtstrategie entwickeln

Wolle man in der Lage sein, krisenhafte Situationen abzufedern und resilient zu werden, kommt man, so der ehemalige Generalstabschef, nicht darum herum, Reserven und Lager anzulegen. Und zwar alle Player: Staat, Gesellschaft und Unternehmen: „Für die Finanzexperten ist es natürlich purer Wahnsinn, wenn fünf Prozent des Kapitals auf diese Art gebunden sind. Aber wenn man sich der Herausforderung stellt – und man kann ja etwas unternehmen –, dann muss man bereit sein, zu investieren. Geld, Ressourcen, Personal. Wir brauchen qualifiziertes Personal, wir brauchen Experten, die im Notfall wissen, was zu tun ist. Wir müssen nur unser verschüttetes Wissen wieder ausgraben. Es gibt ja ausreichend kluge Köpfe, die in der Lage sind darzustellen, was notwendig ist. Wir müssen uns vor allem ehrlich mit den potenziellen Bedrohungsszenarien auseinandersetzen und gemeinsam eine Gesamtstrategie entwickeln. Es ist eine Investition, die sich auf jeden Fall rechnet.“

Zur Person: Othmar Commenda begann 1975 seine Karriere im Österreichischen Bundesheer, zusätzlich zu seiner Generalstabsausbildung absolvierte er Ausbildungen am United State Army War College und an der Führungsakademie der Bundeswehr. Ab 2001 im Stab des Verteidigungsministers aktiv, wurde Commenda 2013 zum Chef des Generalstabs berufen. 2018 nahm General Commenda seinen Abschied vom aktiven Dienst.

Infokasten

Wie PALFINGER Risiken proaktiv minimiert

Vorausschauende Maßnahmen: Multiple Sourcing, proaktive Lagerhaltung und strategische Partnerschaften gleichen Schwankungen in der internen und externen Supply Chain erfolgreich aus.

Strategische Partnerschaften

PALFINGER arbeitet mit über 7.000 Lieferanten partnerschaftlich zusammen, rund 700 von ihnen sind als strategische Lieferanten definiert. Mit ihnen werden konkrete Liefer- und Qualitätssicherungsvereinbarungen in Bezug auf Wirtschaftlichkeit, Produkt, Umwelt und soziale Aspekte getroffen. Langfristige Verträge fixieren die Preise, gestalten die Jahresabnahmemengen variabel und sichern die Versorgung.

Local for local

PALFINGER verfolgt bei seinen Lieferanten generell eine „double/multiple sourcing“ Strategie. Um regionale Besonderheiten ausgleichen zu können, wird verstärkt darauf geachtet, Lieferanten aus unterschiedlichen Regionen zu gewinnen. Über die „local for local“-Beschaffungsstrategie verbessert PALFINGER den ökologischen Fußabdruck, und trägt zur lokalen Wertschöpfung bei und macht sich damit von den globalen Lieferketten unabhängiger.

Akutmaßnahmen: Mit seinen Taskforces hat PALFINGER ein flexibles und effizientes Instrument geschaffen, das in Krisen den laufenden Betrieb sicherstellt und produktiv an der Lösung der jeweiligen Herausforderung arbeitet.

  • Taskforce Cyberattacke: sicherte während des Angriffs auf die IT-Systeme von PALFINGER 2021 Daten, Kommunikation und damit auch die Produktion.
  • Covid-19-Taskforce: Fokus auf die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter, Sicherung der Produktion und der Liquidität
  • Taskforce Supply Chain Management: Sicherstellung der bestmöglichen Versorgung der PALFINGER Produktionsstätte
  • Taskforce Gas Emergency Readiness: laufende Überwachung der Gas- und Energiesituation, Erstellung von konkreten Notfallplänen für Blackout Szenarien sowie für limitierte Energielieferungen.