„Schneller denken, schneller umsetzen“

23.02.2023

Will man aus Daten Mehrwert erzielen, dann muss man sie teilen, sagt Viktor Mayer-Schönberger. Im Interview skizziert er, welche Möglichkeiten sich durch den bewussten Einsatz von Informationen eröffnen und warum es dazu in vielen Unternehmen ein neues Mindset braucht.

Herr Mayer-Schönberger, sind Daten das Erdöl des 21. Jahrhunderts?

Nein. Das ist – auf gut österreichisch – ein Holler. Viele große Unternehmen haben dieses Titelblatt des Economist gesehen und glauben, das Wichtigste ist, viele ihrer Gerätschaften mit Sensoren auszurüsten, um möglichst viele Daten aufzuzeichnen. Das Problem ist, dass die Daten dann nicht genutzt werden. Einer Studie zufolge werden 85 Prozent der Daten, die in Europa von Unternehmen gesammelt werden, kein einziges Mal genutzt.

Das heißt, die liegen auf irgendwelchen Servern herum?

So ist es. Im Unterschied zur physischen Ressource Öl entsteht die Wertschöpfung informationeller Güter wie Daten erst durch ihre wiederholte Nutzung. Tippt man zum Beispiel bei Google eine Suchanfrage ein, erhält man ein Suchergebnis. Das ist die erste Nutzung. Aber Google nutzt die Suchanfragen auch, um die Google Rechtschreibkorrektur zu trainieren. Auf dieser Basis hat Google die beste Rechtschreibprüfung der Welt entwickelt. Das ist Wiederverwendung von Daten und die gibt es gerade bei Google ständig. Noch ein Beispiel: Fahren Googles selbstfahrende Autos durch die Gegend, sammeln sie pro Auto, pro Sekunde etwa eine Milliarde Datenpunkte – darunter auch Daten über WiFi-Netze, an denen sie vorbeifahren. So entsteht eine große Datenbank an Wifi-Netzen weltweit. Verwenden Sie nun ein Android-Phone, dann nutzt es nicht nur das GPS-Signal, sondern erkennt auch offene WiFi-Netze in der Umgebung und trianguliert daraus und der Datenbank exakt Ihre Position. Erneut haben wir eine mehrfache Verwendung der Daten.

Google ist Google. Wie können da vergleichsweise kleine europäische Unternehmen mithalten?

Das können sie. Das Wichtigste ist, dass sich das Mindset ändert. Ich muss verstehen, dass ich für bessere Entscheidungen Daten brauche. Die muss ich sammeln und nutzen. Das heißt, ich muss vor allem im Unternehmen selbst die Leute ermutigen, die Daten auf unterschiedliche Art und Weise für unterschiedliche Themen einzusetzen. Ein Beispiel: Die Flugzeuge der Lufthansa fliegen die meiste Zeit im Autopilot. Dazu werden ununterbrochen Wetterdaten gesammelt, die an den Autopiloten weitergegeben werden. Vor einigen Jahren hat die Lufthansa begonnen, alle diese meteorologischen Daten an den Deutschen Wetterdienst weiter zu melden. Das hat die deutsche Wettervorhersage auf einen Schlag um sieben Prozent verbessert. Davon hat wieder die Lufthansa profitiert, denn mit besseren Wettervorhersagen können sie die Flüge besser planen. So gewinnt man aus Daten Nutzen.

Zur Person

Viktor Mayer-Schönberger ist Professor für Internet Governance und Regulierung in Oxford. Seine Forschung konzentriert sich auf die Rolle der Information in einer vernetzten Wirtschaft. Er ist Autor von elf Büchern, darunter der internationale Bestseller „Big Data“ gemeinsam mit Kenneth Cukier.

Das heißt, Daten nutzen ist erfolgreich, wenn man sie teilt.

So ist es. In Unternehmen ist es wichtig, zu wissen, welche Daten vorhanden sind, sie zugänglich zu machen und zu teilen – über alle Silos hinweg. Dazu kommt, dass auch sehr innovative Unternehmen nicht alle guten Ideen innerhalb ihrer Organisation haben. Manchmal findet man sie außerhalb, bei irgendeinem Start-up. Daher sollte man sich überlegen, wie man über die eigene Organisation hinaus die Datennutzung ermöglicht. Unternehmen wie PALFINGER haben unglaublich viele Daten, die sich zur Verfügung stellen lassen. Da das in der Regel Sensordaten sind, sind sie nicht personenbezogen, damit habe ich auch keine Datenschutzproblematik.

Wie geht man mit der Sorge um, dass diese Daten zur Konkurrenz abfließen könnten?

Ganz einfach mit Innovation. So dass alle anderen mit ihrem Reverse Engineering hinter den neuen Produkten und Dienstleistungen hinterherhinken. China ist in diesem Bereich exzellent, Intel aber ist das weitgehend egal, weil Intel 90 Prozent seines Gewinns mit Chips macht, die in den letzten sechs Monaten auf den Markt gekommen sind. Das bedeutet, bis die anderen das umgesetzt haben, ist der wirkliche Innovator schon wieder weiter. Das bedeutet aber auch, dass Unternehmen wie PALFINGER schneller denken und Ideen schneller in Produkte umsetzen müssen.

Diese Daten sind insofern das Öl, als sie Innovation antreiben. Damit sind sie auch Treiber von Wertschöpfung, Kooperation und Kollaboration?

Ganz genau. Im Wesentlichen haben Daten nur die Funktion, uns zu helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen und nicht nur Informationen zu sammeln, um schon bestehende Fragen zu klären. Big Data, Machine Learning und künstliche Intelligenz helfen uns dabei, weil diese Werkzeuge nichts anderes tun, als aus großen Datenmengen uns auf bestimmte Muster in den Daten aufmerksam zu machen. Aus denen ich dann bessere Fragen generieren kann, so wie die kanadische Forscherin Carolyn McGregor. Sie hat sich mit Frühgeborenen auseinandergesetzt, die überproportional häufig an zu spät erkannten Infektionskrankheiten starben. Das Muster, das sie in den Daten gefunden hat, war überraschend: Werden von einer Sekunde auf die andere die Vitalfunktionen stabil, besteht 24 Stunden später höchste Gefahr. Auf diese Frage – was bedeutet es, wenn plötzlich die Vitalfunktionen stabil werden? – wären wir nie kommen. Das sind genau die Fragen, die wir sonst zu wenig generieren. Big Data und künstliche Intelligenz helfen uns, auf diese überraschenden Muster aufmerksam zu werden und daraus bessere Fragen zu generieren.

Sie haben vorher das Mindset angesprochen, das interne Teilen von Daten, Sie haben auch den Datenschutz angesprochen – wie sehr ist er ein Hemmschuh?

Er ist rechtlich weniger einschränkend als wir ihm unterstellen. Laut Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) darf man, wenn man personenbezogene Daten gesammelt hat, sie nur zweckgebunden nutzen. Aber dazu gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel, dass Daten, die für einen bestimmten Zweck legal gesammelt wurden, auch zur statistischen Auswertung für andere Zwecke genutzt werden dürfen. Die DSGVO macht es großen Unternehmen, die viele Daten im normalen Betrieb sammeln, damit leicht, sie für andere Zwecke zu nutzen. Das hilft den Googles aber auch den PALFINGERs dieser Welt. Also allen, die viele Kundenbeziehungen haben, weil sie viele Geräte mit vielen Sensoren haben, die viel Daten sammeln. Schwierig macht es die DSGVO den ganz kleinen Start-ups, die keine großen Datenmengen haben.

Das heißt, es könnte ein Geschäftsmodell großer Unternehmen sein, Start-ups anonymisierte Daten zur Verfügung zu stellen.

So ist es. Man kann sich mit Start-ups in einem Datenpool zusammenfinden und gegen eine monatliche Gebühr Daten anbieten. Oder man stellt die Rohdaten, die man gesammelt hat, kostenfrei zur Verfügung, tut sich mit ihnen zusammen und überlegt gemeinsam, wie man daraus wertvolle Einsichten gewinnt. Diesen wertschöpfenden Prozess lasse ich mir bezahlen. Informationelle Güter funktionieren anders und verlangen nach anderen Mechanismen als physische Güter. Für letztere braucht es Eigentum, Kauf, all die klassischen Transaktionen, die wir für physische Güter entwickelt haben. Bei Informationsgütern funktioniert das aber nicht mehr so. Denken Sie nur an Eigentum: Wenn Sie ein Buch lesen und ich lese es auch, dann nehme ich Ihnen damit nichts weg. Da bringt es nichts, ein absolutes Exklusivrecht drauf zu haben, das Buch zu lesen.

Das heißt, durch die gezielte und geteilte Nutzung von Daten eröffnen wir eine ganz neue Welt und Möglichkeiten.

Und die können überraschend einfach sein, indem man sich auf die nachliegenden Dinge konzentriert. Da gibt es ein schwedisches Start-up, die bauen Lkw, die auf der Autobahn autonom fahren. Das ist technologisch machbar, die fahren problemlos im Pulk. Sobald sie von der Autobahn abfahren, übernimmt in der Zentrale ein Fahrer, der mit dem Lkw über 5G verbunden ist, und lenkt die letzten Kilometer bis zum Lager oder bis zum Kunden. Das führt dazu, dass der Lkw 85 Prozent der Zeit total autonom fährt. Das bedeutet auch, dass das Logistik-Unternehmen mit wesentlich weniger Chauffeuren auskommen. Denn es braucht nur noch den Fahrer für die ersten und letzten fünf oder fünfzehn Minuten. Ein Chauffeur bedient damit viele Lkw. Das ist Technologie, die heute funktioniert, ich brauche also keine völlige Autonomie, ich muss nur die Möglichkeiten, die mir die Daten bieten, richtig nutzen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Digital PALFINGER

 

Smart Solutions

Ein zentrales Ziel der Strategie 2030 ist, dass PALFINGER seinen Kunden und Partnern Hard- und Software aus einer Hand bietet. Mit seinen Smart Solutions wie Smart Control oder dem Assistenzsystem Memory Position und dem Nivellierassistent bietet das Unternehmen Lösungen, die harte Arbeit in smarte Arbeit verwandeln.

 

Smart Control: https://www.palfinger.com/de/produkte/ladekrane/tec-baureihe/smart-control

 

Assistenzsystem Memory Position: https://www.palfinger.com/de/produkte/ladekrane/tec-baureihe/memory-position

 

Smart Services

Mithilfe von Smart Services können Kunden anstehende Einsätze und Ausfallzeiten optimal im Voraus planen. PALFINGER Connected, bestehend aus Fleet Monitor, Operator Monitor und Service Cockpit, sorgt für einen kontinuierlichen Informationsfluss zwischen Flottenmanagern, Firmeninhabern, Servicepartnern und den Betreibern der PALFINGER Hebelösungen. Das reduziert Stehzeiten, optimiert Services und garantiert den höchst effizienten Einsatz aller Ressourcen.

 https://www.palfinger.com/de/service/service-produkte/connected

 

STRUCINSPECT

STRUCINSPECT betreibt den weltweit ersten Infrastructure Lifecycle Hub für digitale Bauwerksinspektionen und Lebenszyklus-Management. 2019 als Joint Venture der Partner PALFINGER, VCE und der ANGST Group gegründet, nutzt STRUCINSPECT Drohnen zur multispektralen Erfassung der Bauwerke und setzt diese Daten mithilfe Künstlicher Intelligenz für Building Information Modelling (BIM) in Form eines digitalen Zwillings ein. Im Dezember konnte STRUCINSPECT in den USA einen prestigeträchtigen Auftrag an Land ziehen.

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